Behauptung
Ein in sozialen Medien verbreitetes Zeitraffer-Video von Satellitenaufnahmen zeige, dass der Meeresspiegel über Jahre hinweg nicht gestiegen sei.
Einordnung
Ein Zeitraffer-Video mit Satelliten-Aufnahmen aus Mexiko liefert keine validen Informationen über den globalen Anstieg des Meeresspiegels. Der tatsächliche weltweite und lokale Anstieg ist wissenschaftlich umfassend belegt.
Faktensammlung
Eine Bilderrückwärtssuche führt zu einem weiteren Facebook-Beitrag mit dem Video. Dort heißt es, das Video zeige die Stadt Tulum in Mexiko. In der Videobeschreibung sind die Koordinaten 20°12'43.0"N 87°27'57.0"W angegeben. Gibt man "Tulum" bei Google Earth Engine ein, einem Dienst zum Erstellen von Zeitraffer-Videos mit historischen Satelliten-Aufnahmen, lässt sich dasselbe Video erzeugen. Es dokumentiert die Transformation von einem kleinen Dorf zu einer großen Stadt mit zunehmender Infrastruktur zwischen den Jahren 1984 und 2022. Laut dem mexikanischen Ministerium für Land-, Territorial- und Stadtentwicklung gehört Tulum zu den fünf Gemeinden mit dem höchsten Bevölkerungs- und geografischen Wachstum der letzten Jahre auf nationaler Ebene.
Der globale und regionale Meeresspiegel-Anstieg ist wissenschaftlich belegt. Weltweit stieg der mittlere Meeresspiegel laut einem Bericht des Weltklimarats (IPCC) aus dem Jahr 2021 um circa 3,7 Millimeter pro Jahr (2006-2018). Zusätzlich führen tektonische Effekte und Sedimentverlagerung zu lokalen Unterschieden und manche Orte sinken sogar. Der Copernicus Climate Change Service gibt den mittleren globalen Anstieg seit 1993 mit etwa 3,3 Millimeter pro Jahr an. Auf 30 Jahre ergibt das rund 9,6 Zentimeter, ergänzt durch etwa 5 Zentimeter Anstieg zwischen 1980 und 1993 anhand von Pegeldaten. Eine visuelle Aufbereitung auf Wikipedia zeigt eine ähnliche Größenordnung des Anstiegs seit 1980 – rund 15 Zentimeter kumuliert.
Satellitenbilder wie jene in Google Earth Engine eignen sich nicht allein zur Bestimmung von Veränderungen des Meeresspiegels. Für präzise Aussagen sind spezialisierte Verfahren und Datenverarbeitung nötig. Eine im April 2025 veröffentlichte Studie beschreibt eine robuste Methodik zur präzisen Kartierung des Meeresspiegelanstiegs unter anderem mithilfe von Google Earth Engine. Sie betont, dass nur mit spezieller Verarbeitung aussagekräftige Daten generiert werden können.
Ob und wie sich der Meeresspiegel an Küsten verändert, hängt von mehreren lokalen und regionalen Faktoren ab, nicht nur vom globalen Anstieg. Der relative Meeresspiegel an einem bestimmten Ort wird durch regionale ozeanografische Prozesse, Landbewegungen, Sedimentverlagerung und menschliche Einflüsse wie Grundwasserentnahme bestimmt. In einer Studie aus dem Jahr 2022 heißt es dazu: „Darüber hinaus verstärken in vielen Küstengebieten vertikale Landbewegungen, die durch Bodensenkungen verursacht werden, den klimabedingten Meeresspiegelanstieg. Der relative küstennahe Meeresspiegelanstieg ist eine wichtige Triebkraft für Küstenrückgang und Erosion, die in Kombination mit anderen Prozessen natürlichen (z. B. Sturmfluten und Wirbelstürme) und anthropogenen Ursprungs (Sandabbau, Urbanisierung, Landnutzung) wirkt.“ Ein einzelner Ort kann also sogar eine scheinbar sinkende Küstenlinie zeigen, obwohl der globale Meeresspiegel steigt.
Kontext: Auf Sozialen Medien stellen Nutzerinnen und Nutzer immer wieder den Anstieg des Meeresspiegels und damit den Klimawandel mit Luftaufnahmen in Frage. Die Faktencheck-Redaktion von CORRECTIV hat solche Aufnahmen in der Vergangenheit mehrfach überprüft, etwa mit Bildern aus Dubai, New York oder Sydney. In all diesen Fällen belegen die tatsächlich gemessenen Daten, dass der Meeresspiegel steigt. Warum solche Fotos die Behauptungen nicht belegen können, erklärte uns am Beispiel des Fotos aus New York damals Andrew Kemp, Professor an der Fakultät für Erd- und Klimawissenschaften der Tufts Universität in Massachusetts: „Ein großes Problem bei den Fotos ist, dass wir nicht genau wissen, wann sie aufgenommen wurden. […] Es macht einen großen Unterschied, ob ein Foto bei Flut oder bei Ebbe aufgenommen wurde“, schrieb er per E-Mail.
Diese Faktensammlung haben Mitglieder der Faktenforum-Community recherchiert. Redaktion: Nadia Westerwald; Redigatur: Viktor Marinov