Behauptung
Es sei erstaunlich, wie die Stimmen bei der NRW-Kommunalwahl im Laufe des Abends immer mehr von der AfD zu den Grünen gewandert seien. Das sollen zwei Grafiken mit Wahlergebnissen belegen.
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Auf X verbreiten sich zwei Grafiken mit unterschiedlichen Ergebnissen aus der NRW-Kommunalwahl. Nutzer wittern Betrug. Doch die Zahlen zeigen den Unterschied zwischen Prognose und Hochrechnung.
Faktensammlung
Am Abend der NRW-Kommunalwahl am 14. September 2025 verbreiten auf X mehrere Profile zwei Grafiken. Auf einer von ihnen ist die Prognose des Wahlforschungsinstituts Infratest dimap zu sehen – die AfD erreicht demnach 16,5 Prozent, die Grünen 11,5 Prozent. Auf der zweiten Grafik, die die Hochrechnung des Instituts nach der Wahl zeigt, hat die AfD rund zwei Prozent weniger Stimmen, die Grünen rund zwei Prozent mehr. Die Beiträge auf X suggerieren, dass diese Grafiken eine Manipulation der Wahlergebnisse zeigen. „Ich vertraue keine[n] Wahlergebnisse[n] mehr… Komischerweise wandern die Stimmen immer in die gewünschte Richtung“, schreibt ein Profil. „Das Ergebnis wird vor dem öffentlichen Bekanntmachen zurechtfrisiert“, kommentiert eine andere Nutzerin.
Zuerst haben wir recherchiert, ob die gezeigten Grafiken echt sind. Oben links ist bei beiden der Name @Wahlen_de zu sehen, ein Hinweis auf die Quelle. Unter diesem Namen verbreitet ein Profil Umfrage-Ergebnisse aus Deutschland auf Sozialen Netzwerken, darunter X, Telegram und Instagram. Die gezeigten Grafiken finden wir auf dem gleichnamigen X-Account. Dort wurde die Prognose-Grafik um 18:01 Uhr hochgeladen, jene mit den Hochrechnungen um 23:03 Uhr. Die Ergebnisse stammen laut den Grafiken von Infratest dimap im Auftrag des WDR. Der Fernsehsender berichtete über die Prognose übereinstimmend mit den Zahlen aus der Grafik in seinem Ticker zur Kommunalwahl. Die Hochrechnung von 23:03 Uhr ist nicht im Ticker, doch die Zahlen sind nahezu dieselben wie jene aus der Hochrechnung um 23:30 Uhr. Die gezeigten Grafiken auf X sind also authentisch.
Um den Kontext der Grafiken zu verstehen, ist der Unterschied zwischen Prognose und Hochrechnung entscheidend. Die erste Grafik ist eine Prognose von 18 Uhr am Wahlabend – zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keine Ergebnisse. Die Zahlen der Wahlprognosen kommen aus Umfragen nach dem Wahlgang, sogenannte „Exit Polls“. Infratest dimap erkärt die Methodik dafür auf ihrer Webseite: Korrespondenten fragen an unterschiedlichen Orten Menschen, wie sie gewählt haben. Ihre Antwort geben sie freiwillig und anonym. Diese Ergebnisse melden die Korrespondenten an die Zentrale, die auf Basis aller Ergebnisse eine Prognose berechnet. Die Prognosen basieren also auf einer Stichprobe und entstehen nicht auf Grundlage der tatsächlichen Wahl – sie beziehen zum Beispiel die Briefwahl nicht ein. Zudem könnten bestimmte Gruppen nicht an der freiwilligen Umfrage teilnehmen, oder eine andere als die tatsächlich gewählte Partei angeben. Anders ist es bei der Hochrechnung. Denn sie hat tatsächlich Wählerstimmen als Grundlage. Dafür fließen Zahlen aus verschiedenen Quellen zusammen. Wie etwa die ARD in einem Beitrag erklärt, beobachten zunächst Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Umfrageinstituten in Wahllokalen die Auszählung und berichten diese Ergebnisse so schnell wie möglich an die Hochrechner. Hinzu kommen dann – sobald verfügbar – die veröffentlichten Ergebnisse von den Wahlleitungen, inklusive Briefwahlstimmen. Die Hochrechnungen werden im Laufe des Wahlabends deswegen genauer.
Die AfD schneidet in der Regel bei Briefwahlen schlechter ab als andere Parteien. Wie eine Analyse der Zeit für die Bundestagswahl 2021 zeigte, gehen die Wählerinnen und Wähler der AfD mehrheitlich lieber zum Wahllokal als per Brief abzustimmen. Wählerinnen und Wähler von CDU und Grünen hingegen stimmen häufiger per Brief ab. Einen ähnlichen Befund hat auch eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Bundestagswahl im Jahr 2017. An der Urne stimmten für die AfD damals 13,9 Prozent ab, per Brief nur 9,6 Prozent. Das war unter allen Partien die mit Abstand größte Differenz zwischen diesen zwei Wahlmöglichkeiten. Das könnte daran liegen, dass die AfD ihre Wählerinnen und Wähler häufig vor der Briefwahl warnt und suggeriert, diese sei für Betrug anfällig. „Schluss mit Betrug! Wählen nur in der Wahlkabine“, schrieb die AfD Leipzig laut einem Medienbericht etwa in einem Facebook-Beitrag. Die AfD Brandenburg wollte die Briefwahl für das Bundesland sogar ganz verbieten. Auch soziodemografische und berufliche Eigenschaften spielen eine Rolle, wie der Wahlforscher Aiko Wagner für einen vergangenen Faktencheck erklärte. Ein Beispiel: Ältere Menschen tendieren laut Wagner häufiger zur Briefwahl, wählen aber seltener die AfD.
Hintergrund zu den Verbreitern: Einige Profile, die die Grafiken verbreiteten, haben einen satirischen Hintergrund. Ein Profil gehört laut Beschreibung etwa einem Autor eines satirischen Buchs, ein anderes Profil ist als „Parodie-Account“ gekennzeichnet. Bei ihren aktuellen Beiträgen ist jedoch keine Satire erkennbar. Recherchen zeigen zudem, wie Profile Satire als Deckmantel für Falschbehauptungen nutzen.
Diese Faktensammlung haben Mitglieder der Faktenforum-Community recherchiert. Redaktion: Viktor Marinov; Redigatur: Max Bernhard