Falsch

18. February 2025

Alte Behauptung über angeblichen Sozialbetrug kursiert erneut – Flixbus und Behörden widersprechen

Ein Flixbus fährt im nordrhein-westfälischen Siegen (Symbolbild)

Bild: Rene Traut / Picture Alliance

Ein Flixbus fährt im nordrhein-westfälischen Siegen (Symbolbild)

Behauptung

Ukrainerinnen und Ukrainer würden aktuell (Oktober 2024) mit dem Flixbus nach Deutschland fahren, Hartz IV beantragen und direkt wieder in die Ukraine zurückreisen.

Einordnung

Falsch

Ein virales Video vermischt zwei alte Medienberichte zu einer Falschbehauptung. Der erste davon ist mehr als zwei Jahre alt und seine Aussagen werden durch den Videoschnitt ins Gegenteil verdreht. Die Behauptung, Ukrainerinnen und Ukrainer würden mit Pendelfahrten beim Bürgergeld betrügen, kursiert seit Jahren, ist aber trotz vieler Recherchen als systematisches Problem weiterhin unbelegt. Weder Flixbus noch den zuständigen Behörden sind solche Fälle bekannt.

Faktensammlung


Das Video vermischt zwei Medienberichte, die beide älter sind als das behauptete Datum 31. Oktober 2024. In der ersten Hälfte des Videos stammt die Tonspur von einem Beitrag der Sendung „Exakt“ vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Der MDR-Beitrag trägt auf Youtube den Titel „Dubiose Gerüchte: Ukrainische Flüchtlinge als angebliche Sozialtouristen“ und setzt sich kritisch mit der Behauptung auseinander. Er ist zudem vom 10. Oktober 2022, also zwei Jahre älter als behauptet. Der gewählte Ausschnitt ist manipulativ zusammengeschnitten – so wird etwa die Information ausgelassen, dass das Gerücht mit einer Whatsapp-Nachricht startete und am Anfang rechtsextreme Medien, Aktivisten und die AfD die Meldung verbreiteten. Am Ende kommt der Beitrag zu dem Fazit: „Die Massen, die angeblich zwischen Deutschland und der Ukraine pendeln, um Sozialhilfe abzufassen – am Ende konnten wir sie nicht feststellen“ (ab Minute 4:50).


In der zweiten Hälfte des Videos liest eine mutmaßlich KI-generierte Stimme einen Text vom Focus Online vor, der bereits am 1. März 2024 erschien, also deutlich früher als das im Video behauptete Datum 31. Oktober 2024. Dort heißt es, dass eine vierköpfige Familie ein Jahr lang rund 40.000 Euro Sozialleistungen bezogen habe, obwohl sie nach einigen Monaten in die Ukraine zurückgekehrt sei. Ein MDR-Bericht vom 23. Mai 2024 zieht diese Darstellung jedoch in Zweifel. Weder der Bundesagentur für Arbeit noch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sei ein solcher Fall bekannt. „Der Focus-Autor beruft sich auf Nachfrage auf den Quellenschutz und nennt keine Details. Die Focus-Redaktion hat sich auf Nachfrage zum Artikel und möglichen Quellen gar nicht geäußert“, heißt es weiter in dem Bericht.


Das Faktenforum hat zu der kursierenden Behauptung aus dem Video bei Flixbus und den zuständigen Behörden nachgefragt. Ein Flixbus-Sprecher schreibt am 6. Februar 2025: „Wir haben keinerlei Erkenntnisse, die darauf schließen ließen, dass Ukrainerinnen oder Ukrainer mit dem FlixBus nach Deutschland fahren, um Sozialbetrug zu begehen. “ Auch eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit antwortet dem Faktenforum im Februar 2025, dass ihr keine Anhaltspunkte für den Vorwurf vorliegen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das CORRECTIV bereits 2022 mitgeteilt hatte, dass dort solche „Pendelfahrten“ nicht bekannt seien, schreibt ebenfalls: „Hierzu liegen uns auch heute keine neuen Erkenntnisse vor.“


Die im Beitrag zitierte Whatsapp-Nachricht hat CORRECTIV.Faktencheck schon im September 2022 geprüft. Das damalige Fazit der Recherche: unbelegt. „Das Unternehmen Flixbus kann nicht bestätigen, dass es die angeblichen Pendelfahrten zwischen Deutschland und der Ukraine gibt. Die zuständigen Behörden teilten uns mit, dass sie ebenfalls nichts von dem angeblichen Sozialbetrug wüssten. Um Sozialleistungen zu erhalten, muss die betreffende Person einen Wohnsitz in Deutschland haben.“


Zur Frage des Aufenthaltsorts von Menschen, die Bürgergeld beziehen, kursieren immer wieder Gerüchte und Falschbehauptungen. Fakt ist: Wer Bürgergeld bezieht, muss seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Menschen, die Bürgergeld beziehen, können aber vorübergehend ins Ausland, wie ein Text von CORRECTIV.Fakteneck erklärt. Das kann etwa bei wichtigen Arztterminen oder für einen Urlaub geschehen. Für solche Aufenthalte muss aber ein Antrag gestellt werden und es gelten feste Regeln. Ein Verstoß kann ein Bußgeld oder strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, erklärt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Bundesagentur für Arbeit nennt auf Anfrage keine Zahlen zu Verstößen, schreibt aber: „Derartige Fälle kommen vor und werden geprüft.“


Diese Faktensammlung haben Mitglieder der Faktenforum-Community recherchiert. Redaktion: Viktor Marinov; Redigatur: Caroline Lindekamp