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Falsch

25. June 2025

Grönland-Studie für Klimawandel-Leugnung missbraucht

Das Eis in Grönland schmilzt aktuell in Rekordgeschwindigkeit

Bild: Ulrik Pedersen / NurPhoto / Picture Alliance

Das Eis in Grönland schmilzt aktuell in Rekordgeschwindigkeit

Behauptung

Eine Studie über die Fossilien von Pflanzen und Pilzen tief unter dem Eis von Grönland belege, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre weniger Einfluss auf die Vereisung in Grönland habe als bisher angenommen.

Einordnung

Falsch
Mit Bohrungen tief unter Grönlands Eis haben Forscher belegt, dass dort vor hunderttausenden Jahren Pflanzen lebten. Manche stellen damit den Klimawandel in Frage – doch der Studienautor widerspricht.

Faktensammlung


Mehrere Beiträge auf unterschiedlichen Webseiten nehmen eine Studie zu Grönland zum Anlass dafür, den menschengemachten Klimawandel anzuzweifeln. Die Studie aus dem Jahr 2024 heißt „Plant, insect, and fungi fossils under the center of Greenland’s ice sheet are evidence of ice-free times“, übersetzt „Pflanzen-, Insekten- und Pilzfossilien unter dem grönländischen Inlandeis zeugen von eisfreien Zeiten“. Die österreichische Seite Report24 titelt dazu: „Grönlands eisfreie Vergangenheit stellt Klimadogmen auf den Kopf“. Die Studie sei „der wissenschaftliche Beweis, dass die Beziehung zwischen CO2-Konzentration und Vereisung Grönlands weitaus weniger eindeutig ist als bisher angenommen.“ Der Artikel wird auch auf Sozialen Netzwerken geteilt; einen Facebook-Post dazu haben mehr als 5.600 Nutzende weiterverbreitet.


Die im Artikel genannte Studie zu Grönland wurde tatsächlich veröffentlicht – in der US-Fachzeitschrift PNAS, die die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA herausgibt. Nach Angaben der Zeitschrift durchlaufen alle Studien vor Veröffentlichung das sogenannte Peer-Review-Verfahren, bei dem Expertinnen und Experten die Ergebnisse prüfen.


Doch was steht in der Studie wirklich? Erstautor der Studie ist Paul Bierman, Geomorphologe und Professor für natürliche Ressourcen an der US-Universität von Vermont. Das Faktenforum hat ihm den Artikel von Report24 vorgelegt und um seine Einschätzung gebeten. Auf die Frage, ob der Artikel seine Studie korrekt darstelle, schrieb er: „Nein, das tut er nicht.“ Seine Studie sei keineswegs ein wissenschaftlicher Beweis für einen fehlenden Zusammenhang zwischen CO2 und dem Eis in Grönland. Auch widerlege sie nicht den Einfluss von CO2 auf den menschengemachten Klimawandel. „Die gefundenen Fossilien unter dem Eis stellen nicht den Zusammenhang zwischen CO2 und der Vereisung in Frage. Ganz im Gegenteil.“ Stattdessen seien sie ein Beleg, dass das Eis in vergangenen Warmzeiten bereits einmal geschmolzen sei. Der durch CO2-Emissionen verursachte Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau sorge für einen grundsätzlichen Eisrückgang, teilt Biermann mit. Infolgedessen steige der Meeresspiegel und Städte würden geflutet. In der Studie selbst finden sich keine Aussagen zu CO2 oder dem Klimawandel. Es geht um Fossilien drei Kilometer unter dem Eis in Grönland, die belegen, dass es dort vor langer Zeit zu einer Eisschmelze kam.


Für eine weitere Einschätzung hat CORRECTIV.Faktenforum das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung kontaktiert. Wissenschaftler Torsten Albrecht, Autor mehrerer wissenschaftlicher Arbeiten zum Eisschild in Grönland und der Antarktis, schrieb per E-Mail: „Der Zusammenhang zwischen dem CO2-Gehalt in der Atmosphäre und der globalen Durchschnittstemperatur ist gut verstanden und beruht auf grundlegender Physik.“ Die Erwärmung der vergangenen 150 Jahre lasse sich „vollständig auf den menschengemachten Ausstoß von Treibhausgasen zurückführen“. Albrecht erklärte, wie sich das Klima in der Vergangenheit verändert hat, nämlich im Rhythmus der sogenannten Milanković-Zyklen. „Diese Zyklen beschreiben, wie sich die Umlaufbahn und die Stellung der Erde zur Sonne ändern und so langfristig die Sonneneinstrahlung und jahreszeitliche Energieverteilung auf der Erde beeinflussen. Auch die Ver- und Enteisung Grönlands folgt diesen Zyklen.“ Sie spielen sich in langen Zeiträumen von Jahrtausenden ab. Zur Einordnung der Studie sei es wichtig, zwischen diesen unterschiedlichen Zeitspannen zu unterscheiden, betont Albrecht. Einerseits geht es bei den Eis- und Warmzeiten um Entwicklungen über Jahrtausende und andererseits beim menschengemachten Klimawandel um Veränderungen innerhalb von Jahrzehnten. „Für die letzten Jahrzehnte ist der Zusammenhang zwischen CO2 und Temperatur eindeutig, und zwar als dessen Treiber und wichtiger Verstärkungsfaktor.“


Kontext: Die österreichische Nachrichtenseite Report24, die einen irreführenden Artikel über die Studie veröffentlichte, ist in der Vergangenheit mehrfach mit falschen Behauptungen aufgefallen. Im Jahr 2022 nahm die Organisation NewsGuard Report24 daher in ihr Ranking der unglaubwürdigsten Medien auf. Auf eine Anfrage vom Faktenforum zu dem Artikel und den Behauptungen darin antwortete Report24 nicht.


Diese Faktensammlung haben Mitglieder der Faktenforum-Community recherchiert. Redaktion: Viktor Marinov; Redigatur: Caroline Lindekamp